Befremdlich und kurios – oder eben doch nicht: gedehnte Ohrlöcher

Befremdlich und kurios – oder eben doch nicht: gedehnte Ohrlöcher

Befremdlich und kurios – oder eben doch nicht: gedehnte OhrlöcherDiese Art der sogenannten „Body-Modification“ hat verschiedene Namen, „Tunnel“ oder „Plugs“ sind die hierzulande geläufigsten Begriffe. Die Körpermodifikation blickt auf eine lange Geschichte zurück – und seit Mitte der neunziger Jahre entwickelte sich hier ein Trend, der mittlerweile gerade in der Jugendkultur großen Anklang findet.

Geschichtlich betrachtet nichts Ungewöhnliches: Ohrloch dehnen
Hinter dem Dehnen von Piercings, speziell in den Ohren, steht eine lange Tradition. Man fand das älteste nachgewiesene gedehnte Ohrloch an Ötzi, der Gletschermumie aus der Jungsteinzeit. Ötzi lebte zwischen 3359 und 3105 v. Chr. und hatte auf sieben bis elf Millimeter Größe gedehnte Ohrlöcher. Auch der  bekannte altägyptische König Tutanchamun sowie Buddha werden stets mit geweiteten Ohrlöchern dargestellt. So war diese Art des Körperschmucks schon vor Jahrtausenden nichts Ungewöhnliches, und viele Ureinwohner-Stämme „verschönern“ sich auch heute noch mit ihm.

Der Dehnvorgang selbst ist ein relativ langwieriger Prozess, da sich das Gewebe über Monate an die Ausweitung gewöhnen muss. Die Faustregel lautet „Alle vier Wochen ein Millimeter“.

Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  • Dehnstäbe: diese konisch (kegelförmig) verlaufenden  Stäbe sind die populärste Methode, ein Ohrloch zu dehnen. Mit Gleitgel, Vaseline oder Öl eingeschmiert, werden sie in den Stichkanal des mindestens vier Wochen vorher gestochenen Piercings eingeführt und so gedehnt. Hierbei kann der Schmuck entweder direkt mit eingesetzt werden, oder erst nach einigen Stunden oder sogar Tagen.  Zu Ötzis Zeiten waren die Dehnstifte aus Holz, Horn oder Knochen gefertigt, heutzutage werden diese Materialien ebenfalls noch verwendet,  jedoch sind eher Acryl- oder Edelstahl-Dehnstäbe die bevorzugte Wahl.
  • Gewichte: Hier wird sehr schwerer Schmuck im Ohrloch getragen, wobei sich das Gewebe mit der Zeit von selbst ausweitet. Diese Methode wird jedoch eher selten angewendet, da der Tragekomfort hier erheblich eingeschränkt wird und das Ohrläppchen-Gewebe zu sehr ausdünnen kann.
  • PTFE-Band: Dieses Teflonband ist ein empfehlenswertes Werkzeug zum Dehnen, wenn auf eine bestimmte Zielgröße „hingearbeitet“ wird. Denn so muss nicht für jede nächste Größe neuer Schmuck eingekauft werden, um mit dem Dehnvorgang fortzufahren. Das Band wird in mehreren Schichten um das gewählte Schmuckstück gewickelt, um so nach und nach einen größeren Durchmesser zu erreichen. Das Band klebt nicht und gilt als hautverträglich.
  • Unkonventionelle Methoden: Weniger zu empfehlen, aber durchaus auch praktiziert wird der Dehnvorgang mithilfe von Sticknadeln, Kugelschreibern etc. Hierbei besteht aber das Risiko einer Infektion, da die Desinfektion solcher Gegenstände oft nicht einwandfrei gelingen kann. Auch die simple Verwendung von immer größerem Schmuck ohne Dehnhilfe ist nicht zu empfehlen, denn hierbei kommt es oft zu sich entzündenden Wunden und einem sich herausstülpenden Stichkanal.

Welche Materialien und Schmuckvarianten gibt es?
Es gibt verschiedene Varianten und Materialien des Schmucks: Angeboten werden Tunnel, Plugs, Dehnstäbe und Gewichte aus Holz, Stein, Horn, Knochen, Edelstahl, Chirurgenstahl, Titan, Acryl, Glas und Silikon. Die bevorzugten davon sind Silikon, Acryl und Chirurgenstahl, denn diese werden häufig am besten von der Haut vertragen und sind zusätzlich am hygienischsten. Auch die Art des Schmuckstücks kann unabhängig vom Material stark variieren. So gibt es den innen offenen Tunnel in verschiedenen Formen: als Dreieck, Quadrat, Hexagon, Herz oder sogar in Tropfenform. Auch die geschlossenen Plugs sind in diesen Varianten erhältlich. Diese können jedoch auch mit diversen Mustern oder Formen dekoriert sein. Das Angebot ist mittlerweile nahezu unendlich groß, es werden sogar Plugs und Tunnel nach Maß, mit selbst gewähltem Motiv und Material angefertigt.

Der Trend
Galt die Körpermodifikation, speziell an den Ohren, vor 20 bis 25 Jahren in der westlichen Welt noch als äußerst sonderbar und provokant, hat sich in den letzten Jahren schnell ein Trend hierzu entwickelt – und das, obwohl sich das gedehnte Gewebe ab einer Größe von ca. 10 bis 12 Millimetern nicht mehr zusammenzieht.  Gemeinsam mit Piercings und Tattoos werden die Body-Mods gemeinhin immer mehr akzeptiert, denn sie sind im Straßenbild nicht mehr zu übersehen.

Foto: savageultralight – Thinkstockphotos